“Ich stand zu nah am Trainer”
12. June 2010Quelle: Volksstimme von Frank Nahrstedt
Volksstimme: Herr Harant, sind Sie wirklich so cool?
Christian Harant: Nein, mit Sicherheit nicht. Aber das muss ein Gegner ja nicht mitbekommen. Ich gehe als Spieler auf das Feld, um zu gewinnen. Mir ist jedes faire Mittel recht. Wenn ich den Gegner dadurch beeindrucken kann, dass ich ihm vorgaukele, nicht überwindbar zu sein, dann ist das sicher von Vorteil. Es hilft zudem der Mannschaft, wenn jemand zwischen den Pfosten steht, der Ruhe ausstrahlt und sich von den Emotionen nicht gleich anstecken lässt. Aber diese gehören einfach dazu.
Volksstimme: Haben Sie Ihre Emotionen im Griff?
Harant: Ich versuche es zumindest. Es gibt Entscheidungen der Schiedsrichter, die man nicht nachvollziehen kann. Wenn ich verliere, dann soll das fair und nicht durch Fehlentscheidungen passieren. Das geht mir gegen den Strich. Dann kann ich auch mal aus der Haut fahren. Das aber normal, denke ich. Das ist es, was den Sport ausmacht.
Volksstimme: Lassen Sie positiven Emotionen freien Lauf?
Harant: Ja. In Situationen wie zuletzt in Blankenburg, als wir mit 2:1 gewonnen haben, das war überagend. In der zweiten Halbzeit ging es mit zehn Mann besser. Jeder hat eine Schippe draufgelegt, vor allem als wir zu Neunt waren. Durch diesen Sieg haben wir die Abstiegsplätze verlassen. Die Freude muss ich lautstark rauslassen.
Volksstimme: Woher kommt ihr Spitzname?
Harant: Das ist schon länger her. Den bekam ich bereits in beim Schönebecker SV, bei dem ich von 1978 bis 1998 spielte. Anfang der 1990er habe ich mit den ¿alten Hasen‘ wie Frank Wegehaupt und Torsten Volkmar gespielt. Damals habe ich eine Entscheidung, dass ich nicht spiele, so aufgenommen, dass es mich nicht berührt hat. Zumindest kam es so rüber. Seitdem ist mein Spitzname “Eis” von “eiskalt”. Und wenn man als Fußballer einmal einen Namen hat, dann ist daran auch nichts mehr zu drehen.
Volksstimme: Nun gehören Sie zu den ¿alten Hasen‘ und der Name trifft besser zu denn je, oder wie erklären Sie Ihre Präsenz im Tor?
Harant: Es gibt keine alten Hasen. Es gibt gute und schlechte Spieler. Ich denke, dass ich das Gute in meiner langjährigen Erfahrung gesammelt habe und nun einbringen kann. Mein großer Vorteil ist, dass ich fast immer gespielt habe – sicher auch aufgrund der Leistungen – und das zahlt sich aus.
Volksstimme: Hatten Sie jemals den Traum in der Bundesliga zu spielen?
Harant: Eigentlich nicht. Ich hätte vielleicht gern in der DDR-Oberliga gespielt. Aber nach der Wende war die Bundesliga kein Traum, obwohl ich sicher gern die Million mitgenommen hätte (lacht). Mittlerweile wäre das zu stressig. Die zwei Spiele am Wochenende, wie es in dieser Saison der Fall war, da muss man sich schon ganz schön durchbeißen. Ich bin mit meiner Karriere zufrieden. Angebote von Sangerhausen, Dessau oder Preussen Magdeburg habe ich ausgelassen, weil es familiär nicht zu meistern gewesen wäre. Ich bin ein Typ der dort bleibt, wo er sich wohl fühlt. Das war bis zu einem bestimmten Punkt der SSV, danach Calbe.
Volksstimme: Sind Sie sehr heimatverbunden?
Harant: Ja. Nur im Urlaub geht es mal woanders hin, beispielsweise nach Frankreich oder Ägypten. Jetzt haben wir aber einen Hund, da geht es nicht mehr so weit ins Ausland, eher in die nordischen Länder.
Volksstimme: Haben Sie so eine Saison wie diese schon öfter erlebt?
Harant: Nein. So etwas Extremes habe ich in 32 Jahren Fußball noch nicht erlebt.
Volksstimme: Wie haben Sie diese Saison überstanden?
Harant: Ich war leider seit September verletzt. Diese drei, vier Monate waren nicht so toll. Aber das Wetter ist mir aufgrund der langen Pause im Winter entgegengekommen. So konnte ich mich auskurieren. Inzwischen weiß ich, was ich meinem Körper zumuten kann und was ihm gut tut. Zwischen den Spielen muss ich eben relaxen und Kraft sammeln. Eine zusätzliche Trainingseinheit würde ich nicht verkraften.
Volksstimme: Wie gehen Sie mit diesen Drucksituationen um?
Harant: Ich versuche, in jedes Spiel zu gehen, als ob es ein normales ist. Das habe ich auch im Pokal gegen den 1. FC Magdeburg gemacht. Natürlich steht heute mehr auf dem Spiel. Aber wenn man sich zu sehr unter Druck setzt, verkrampft man und dann wird es erst recht nichts. Mittlerweile habe ich genug Erfahrung, um das auszublenden. Das liegt womöglich auch an meinem Typ. Ich bin niemand, der extrem extrovertiert ist. Ich finde meine Ruhe von innen heraus und versuche, meine Leistung zu bringen. Das ist das Entscheidende.
Volksstimme: Muss man ein exzentrischer Torhüter wie Oliver Kahn sein, um gut zu sein?
Harant: Nein, muss man nicht. In der Bundesliga ist das vielleicht von Vorteil, weil man so mehr Präsenz hat, aber letztlich reicht es, wenn man die Bälle fängt oder abwehrt und am besten zu Null spielt. Das ist das beste Resultat für einen Torwart.
Volksstimme: Hatten Sie Vorbilder?
Harant: Nicht wirklich. Vorbilder zu haben ist sicherlich gut, aber ich bin niemand, der irgendwen kopiert. Das liegt mir nicht. Ich mache mein eigenes Ding. Damit müssen die Mannschaft, der Verein und ich klarkommen. Ich bin damit zufrieden.
Volksstimme: Hat Sie schon immer nur Fußball interessiert?
Harant: Nein. Von vier bis sechs Jahren war es Schwimmen. Doch dann kamen die Vereine in die Grundschulen und mein Bruder und ich haben uns für Fußball entschieden. Das war auch die richtig. In der Jugend wollten alle Tore schießen und keiner zwischen die Pfosten. Ich stand leider zu nah am Trainer, der hat dann bestimmt, dass ich ins Tor gehe. Ich habe aber auch immer wieder draußen gespielt, zum Beispiel in der Junioren-DDR-Liga als rechter Verteidiger, weil zwei Keeper vom Club delegiert wurden, oder zum Spaß im letzten Saisonspiel.
Volksstimme: Es reizt Sie also doch, ab und zu als Feldspieler aufzulaufen?
Harant: Naja, das ist jetzt vorbei. Im Training schon, aber nicht in Pflichtspielen. Es würde zu anstrengend werden (lacht).
Volksstimme: Woher kommen Ihre starken Reflexe, die Sie zum Beispiel gegen Nienburg unter Beweis gestellt hatten?
Harant: Speziell trainiert habe ich das nie. Man macht sicherlich ein paar Übungen, aber man muss die Ader haben, ein Torhüter zu sein. Die Reflexe waren immer da, schon im Schulsport. Da waren wir als Handball-Mannschaft recht erfolgreich. Ich mag eigentlich jede Ballsportart. Daher ist es wohl eher Talent. Mein Vater hat auch Fußball gespielt.
Volksstimme: Heute steht das entscheidende Spiel um den Ligaverbleib bevor. Haben Sie so einen engen Abstiegskampf schon einmal erlebt?
Harant: Das habe ich schon öfter erlebt, auch damals mit Schönebeck, aber so prekär wie in dieesr Saison war es noch nicht.
Volksstimme: Warum hat es Calbe verdient, in dieser Liga zu bleiben?
Harant: Weil wir ‘ne geile Truppe sind. In der Mannschaft steckt Potenzial. Das hat man gegen Nienburg oder zuletzt in Blankenburg gesehen. Wieso wir es in dieser Saison nicht so abrufen konnten, weiß ich auch nicht. Schließlich ist das Team zusammengeblieben. Wir sind in dieser Beziehung auch etwas ratlos. Woran es lag, dass der Funke irgendwann wieder übergesprungen ist, weiß ich nicht. Aber wir haben immer gewusst, dass der Mai unser Monat wird. Letztlich hat das bis auf zwei Ausnahmen funktioniert.
Volksstimme: Haben Sie immer daran geglaubt, dass die TSG den Ligaverbleib selbst in der Hand haben wird?